Vor einigen Tagen bin ich über einen Arikel bei LinkedIn gestolpert. Ein Mann, den ich nicht persönlich kenne, schreibt darin von der hohen Last die er jeden Tag beruflich zu tragen hat und wie allein er sich mit diesem Thema fühlt. Er schreibt von den Erwartungen seiner Chefs, der Kunden und der Kollegen an ihn, aber auch von denen seiner Ehefrau und der gemeinsamen Kinder. Er schreibt davon, wie er unter der Last zu zerbrechen droht und wie wenig er sich von den Menschen in seinem engsten Umfeld verstanden fühlt – egal wie sehr er auch versucht seine Situation zu beschreiben. Niemand, nicht einmal seine Frau, die Person die ihm am Nächsten steht, scheint ihn zu verstehen. Keiner ist da, der helfen kann.
Ich selbst fühle mit ihm, denn ich kenne diese Momente der totalen Überforderung. Ich kenne seinen Schmerz es allen Recht machen zu wollen und dabei nur noch mehr im Treibsand zu versinken. Sein Artikel und meine Gedanken dazu hätten hier fast enden können.
Leider endet es hier nicht, denn darunter beginnen die Kommentare. Viele davon sicher in irgendeiner Form gut gemeint. Die Kommentatoren überschlagen sich mit billigen Kalendersprüchen, mit Tipps wie “Hey, sieh auch die schönen Seiten des Lebens!”, “Jede Herausforderung ist auch eine Chance!” und “Simplify your life!”. Hunderte Kommentare. Alles davon ist richtig, doch nichts davon ist hilfreich. Unter’m Strich wird dem Autoren vermittelt, er würde sein Leben nur nicht richtig strukturieren, hätte eine negative Lebenseinstellung und solle sich mal nicht so anstellen.
Letztlich ist jeder Kommentar eine Bestätigung für die Kernaussage des Verfassers: Niemand versteht mich wirklich! Wer einen solchen Kommentar schreibt kennt diese Situationen nicht in denen die Anforderungen Teufelskreise bilden. Job bedingt Einkommen, Einkommen bedingt finanzielle Last, Finanzlast treibt in Schulden, Schulden zehren am Krafthaushalt, Krafthaushalt runiert den Job. Dazu fordert die Familie Präsenz, Aufmerksamkeit und nicht zuletzt Kraft und Finanzen. Kraft und Motivation schwinden. Der dringend benötigte Schlaf wird durch nächtelanges Wachliegen und das gedankliche Kreisen um Familie, Geld und berufliches zerstört. Wenn dann noch externe Krisen um Gesundheit, familiäre Schicksalsschläge oder andere psychische Belastungen dazukommen kollabiert alles. Wo will man denn sein Leben “simplyfiyen”, wenn man längst schon keine Hobbies, kein Ehrenamt oder Freizeit mehr hat? Wie sieht man die “schönen Seiten des Lebens”, wenn man kaum noch die Kraft hat aus dem Bett zu kommen?
Dieser Mensch hat um eine einfache Sache gebeten: Kann mich bitte wenigstens mal EIN Mensch verstehen? Selbst das wurde ihm von den Lesern verwehrt. Keiner hat ihn verstanden. Jeder Kommentator war so damit beschäftigt sich selbst durch den besten Kalenderspruch zu profilieren. Jeder nicht geschriebene Kommentar wäre hilfreicher gewesen. Ich bin sicher, dass der Mensch, der sich hier in seiner Schwäche gezeigt hat ein intelligenter und gebildeter Mensch ist, der alle Sprüche und Ratschläge selbst ausreichend kennt. Das allein hilft aber nicht.
Ich selbst finde den Artikel leider in meiner App nicht wieder. Ich würde ihm sonst gern schreiben, dass ich an ihn denke und mit ihm fühle. Manchmal braucht ein Mensch das viel mehr. Als ich in diesen Situationen steckte, haben mir zwei Dinge geholfen: Mein Glaube und zwei Freunde, die sich einfach ohne viel zu sagen auf mein Sofa gesetzt haben und da waren. Kein noch so gut gemeinter Kalenderspruch.
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